"... und den neuen Tag wie ein neues Leben beginnen." – Edith Stein

Kirche St. Bartholomäus

Die Pfarrkirche zu Poylsem (Polsum) wird schon 1308 urkundlich erwähnt. Ursprünglich war die Polsumer Kirche eine sog. Eigenkirche des Essener Frauenstiftes, das fast 1000 Jahre das Kurfürstentum regierte, aus dem die gleichnamige Ruhrgebietsmetropole entstand. Sieht man von Vorformen aus ganz früher Zeit ab, so wurden in Polsum im Laufe der Jahrhunderte insgesamt drei Bauten errichtet, der gegenwärtige 1968 fertiggestellt. Nur der heute separat vom Kirchengebäude aufragende Glockenturm, dessen unterer Teil noch aus dem 12. bis 13. Jh. stammt und ursprünglich wohl ein Wachturm war, blieb beim Neubau vor über 50 Jahren erhalten. In der Pflasterung des heutigen Kirchplatzes ist der Grundriss der alten Kirche nachgebildet. Die größte und älteste Glocke, die Franziskusglocke von 1579, läutet bis zum heutigen Tag mit ihrem volltönenden Klang die Stunde.

Das Äußere

Entworfen wurde das jetzige Gotteshaus vom Kölner Architekt Hans Schilling (1921-2009).  Etwa zweihundert Sakralbauten tragen seine unverwechselbare Handschrift. Charakteristisch für Schillings Kirchenbauten ist oft der Fünfeckgrundriss oder ein Polygon mit lang herausgezogenem parabolischen Chorhaus, wie auch bei der Polsumer Kirche. Viele seiner Entwürfe zeigen Einflüsse von Le Corbusier und dessen berühmter Wallfahrtskapelle Notre Dame du Haut in Ronchamp.

Schillings Ziel war es stets, einen Raum zu schaffen, der den pastoralen Ansprüchen gerecht werden und auf keinen Fall durch seine Formensprache aufdringlich wirken sollte. Die Kirche solle „ein Freund des Menschen sein“; Material und Raum sollen für sich selbst sprechen und mit allen Sinnen wahrnehmbar sein. Hans Schilling nahm in seinen Kirchenentwürfen die neue Theologie und Spiritualität des Zweiten Vatikanischen Konzils auf und übersetzte sie in Architektur. So ist auch die Polsumer Kirche im Grunde nichts Anderes als eine aus Steinen erbaute Liturgie.
Nach über zweijähriger Bauzeit wurde die neue Kirche am 24. August 1968 durch den damaligen Bischof von Münster, den späteren Kardinal Joseph Höffner, eingeweiht - übrigens neben der alten Kirche, die mangels verbliebener finanzieller Mittel erst im Mai 1970 abgerissen wurde, nachdem man zuvor noch die alte Orgel aus- und in das neue Gotteshaus eingebaut hatte. Erst nach über 20 Jahren, am 3. Advent 1989, konnte endlich eine neue Orgel auf der nun für einen Chor erweiterten Empore eingeweiht werden.

Der unregelmäßig geformte Baukörper der neuen Kirche passt sich der städtebaulichen Situation im Zentrum Polsums an: Die geraden Umfassungsmauern sind auf die Straßenführung, auf die Flucht der Kirchplatzhäuser und auf die ehemalige alte Kirche ausgerichtet. Drei Baumotive prägen den Außenbau und richten ihn aus: Da ist das breite, tief herabgezogene und zum Altarraum hin ansteigende Satteldach, das ihm eine entschiedene Längsgerichtetheit verleiht; der abseits stehende Turm der alten Kirche, dem der Baukörper in seiner Höhendimension angepasst und untergeordnet ist; und schließlich die beiden Dominanten der Einbuchtungen an den Schmalseiten, die sich steil und plastisch vorwölben, so dass der Bau wie zwischen zwei Bastionen eingespannt erscheint.

In seiner Gesamtheit wirkt der Außenbau wie ein großer umschließender Mantel, der um ein Inneres herum gelegt ist und dieses durch abweisende Mauern gegen die Umwelt abschließt. Anders ausgedrückt: der Kirchenraum modelliert von innen her seine schützende Schale.

Das Innere

Der Grundriss der Kirche ist unregelmäßig polygonal. Zugrunde liegt die Figur eines willkürlich konstruierten Siebenecks mit verschieden großen Winkeln.
Die Scheitellinie der beiden ansteigenden Dachflächen führt vom Eingang im Westen zum Altarraum im Osten, und entsprechend ist zwischen den Bankreihen eine „Straße“ vom Eingang zum Altar ausgespart. Hierdurch bekommt der weite Raum, der beinahe ebenso breit wie lang ist, die traditionelle Längsausrichtung des christlichen Kirchenbaus: von Westen nach Osten.
Die hölzerne Decke, deren Vertäfelung durch die Rundungen des Mauerwerks wie ein nach innen gewölbter Schiffsrumpf wirkt und die durch diese Dynamik der Geborgenheit im Kirchenschiff eine sinnlich wahrnehmbare Dimension verleiht, macht die Magie dieses Bauwerks aus.

Die Innenausstattung der Kirche stammt überwiegend von Manfred Espeter (1930-1992), einem Kirchenkünstler aus Münster. Er schuf Fenster, Außenportale und auch alle charakteristischen Sakralobjekte.  Espeter, der zahlreiche Kirchen in Nordwestdeutschland ausgestattet hat, entwickelte für die Polsumer Kirche eine eigene Farb- und Formensprache, deren Spannungsaufbau durch ein lebhaftes Farbenspiel die dynamische Konstruktion des Kirchenschiffes sowohl bricht als auch unterstützt. So verstärkte er die Formgebung des Architekten noch durch eine die Apsis dominierende, genau in der Mitte frei hängende Christus-Skulptur. Das hell patinierte gleichschenkelige Bronzekreuz mit vier eingelegten Glasbrocken zeigt einen triumphierenden Christus (Kupfer vergoldet) als Erlöser der Welt (Quadrat/Vierung), umgeben von einem Strahlenkranz. Die Stilmittel reflektieren die Symbolik des gegenüberliegenden großen Portalfensters mit dem Lamm Gottes inmitten des himmlischen Jerusalems.
In freier und doch strenger Komposition schuf Espeter die Kirchenfenster unter Verwendung der fünf klassischen Farben der Liturgie (Weiß, Rot, Blau, Grün und Schwarz). So setzte er ebenso wie durch seine kraftvollen Skulpturen klare Akzente, die auf vollendete Weise mit dem Rot der Ziegelmauern im Inneren der Kirche und dem warmen Ton der Holzdecke harmonieren.
Die bleiverglasten Fenster sind aus Antikglas, Schwarzlot und z.T. beschliffenen Glasbrocken zusammengesetzt, in den Grundfarben Weiß, Blau und Rot. Im manchmal fließenden, aber gerade bei den schmalen Langfenstern oft streng geometrischen Gefüge finden sich Einsprengsel gemalter natürlicher Motive, um die Botschaft des Bildes symbolhaft zu verdichten.
Nicht nur die Formen, auch die Farben der Fenster tragen symbolische Bedeutung: Blau spielt auf das Wasser des Lebens an (Taufe), Rot auf die göttliche Liebe, Grün auf die Hoffnung, Gelb auf das Licht und Weiß auf den Geist. In kristalliner Formensprache hat der Künstler einen Weg gefunden, Glaubensgeheimnisse zeitgemäß zu chiffrieren, um den Betrachter einzuladen, sie für sich zu entschlüsseln. Denn obwohl die Fenster einen Zyklus mit Glaubenswahrheiten der christlichen Lehre darstellen, lässt die reichhaltige Symbolik Raum für individuelle Deutung und Meditation.

Schräg gegenüber dem Altarraum, an der linken Hälfte der Westwand, liegt die Taufkapelle. Sie ist als angeschnittener Mauerzylinder über 2/3 Kreisgrundriss angelegt und bildet einen Hohlkörper zwischen zwei Fensterbahnen, der mit kurzen, gebogenen Mauerzungen in den Kirchenraum eingreift. Umfasst von einem Kranz kleiner, niedrig angebrachter Fenster steht in dieser dunklen Hohlform der Taufstein, den laut Inschrift der damalige Pfarrer Jodocus Epman 1627 anfertigen ließ. Das geriffelte Taufbecken und die wie eine Schriftrolle geformte Inschriftkartusche darauf sind typische Ornamentformen aus der Blütezeit des Barock.  Ebenfalls erhalten blieb die im Kriegsjahr 1941 von der Bildhauerwerkstatt Hans Meier aus Gelsenkirchen geschaffene hölzerne Bartholomäus-Skulptur, die heute links neben der Taufkapelle hängt.
Die fünf quadratischen Fenster in der Taufkapelle, die Szenen aus dem Alten Testament in Beziehung zur Liturgie der Taufwasserweihe setzen: Der Geist Gottes über den Wassern; die Sintflut mit der Arche (Symbol der Kirche), darüber das Himmelszelt; der Durchzug durchs Rote Meer; die Opferung Isaaks; der unerschütterliche Glaube der drei Jünglinge im Feuerofen, die sich vor dem babylonischen König Nebukadnezar weigerten, ein heidnisches Bild anzubeten.

Dort, wo in der Anfangszeit eine von einem schweren Vorhang abgeteilte Beichtnische war, hängt heute eine Marien-Ikone, die der Gelsenkirchener Künstler Hans Steimel in altmeisterlicher Technik gemalt und der Gemeinde gestiftet hat. Eine weitere Ikone des Malers hängt unter der Empore.

Der in einfachen Formen aus monochrom koloriertem Ton modellierte Kreuzweg an der Südwand stammt vom Bottroper Bildhauer Johannes Fischedick. Gut ein Viertel der Kosten spendete damals die Polsumer Kolpingsfamilie aus dem Erlös einer ihrer ersten „Lumpensammlungen“.
Erst im Rückblick lässt sich wirklich ermessen, wie vorausschauend, wie couragiert und risikobereit vor über 50 Jahren die Entscheidungen der Verantwortlichen waren, die z. T. unter enormen Schwierigkeiten den Kirchenneubau initiiert, gefördert und begleitet haben. Ohne ihr Engagement und ihre Einsatzbereitschaft, aber auch nicht ohne die Leistungen vieler ungenannter Helfer aus der Gemeinde, die entgeltlich und unentgeltlich ihren Teil zum Gelingen beigetragen haben, wäre es sicher nicht gelungen.

Als vor einiger Zeit die Teilnehmer einer Veranstaltung zu den Besonderheiten unserer Kirche am Ende gebeten wurden, ihre Eindrücke aufzuschreiben, gab es darunter einen, den fast alle teilten: Diese Kirche bedeute Heimat für sie - ein Ort, in den man selbst hineingewachsen ist und sich zuhause fühlt, weil er zum eigenen Leben gehört.
Und ist es nicht gerade die lebendige Gemeinde, die diesen Ort der Ruhe und Verbundenheit am Leben hält?

Rundflug über St. Bartholomäus